Die Wündertüten oder Schwestern des Irrsinns II

12. August 2008 Update

Pitch A, das größere der beiden Hockeystadien
Pitch A, das größere der beiden Hockeystadien 

Heute ist der 5.Tag und endlich hat Olympia richtig begonnen. Ich meine nicht wegen eurer vier Goldmedaillen, die man sich hier nur zuraunt: „wir haben drei, der Kanufahrer und der Judomann und die Reiter.“ Jeder weiß ein Stückchen mehr. Nein, heute hat Olympia begonnen, weil das Wetter endlich gut war, weil der Schwarzmarkt anrollte, weil ich mit einer artistischen Tauschaktion mindestens ein Dutzend Menschen aus 3 Nationen glücklich machen konnte und weil die Wundertüten uns wieder haben zittern lassen.

Zunächst aber ein großer Dank an alle, die diese Zeilen lesen und sich im Gästebuch verewigen. Das motiviert mich sehr und hilft, nach vier, fünf Stunden Schlaf den Rechner wieder einzuschalten und weiterzuhacken.

Um 5 Uhr verlasse ich mit Uli das Hotel für das abendliche Hockeymatch. Eigentlich wollen wir was zu essen suchen, aber weil die Neuankömmlinge aus Mannheim an der Bushaltestelle stehen und auch zum Hockey wollen, beschließen wir, mit der Gruppe zu fahren und den schnellsten Weg zu zeigen. Alle haben Karten für zwei Sessions, auch ich. Eine Session beginnt um 18 Uhr auf Pitch B und umfasst zwei Spiele, die zweite um 18.30 Uhr auf Pitch A mit auch zwei Spielen. Das heißt, eine Karte hat man übrig, weil man eigentlich nur das Spiel der eigenen Mannschaft verfolgen kann.

Weil aber einige Fans nur eine Karte haben und die dummerweise für den Platz, auf der das eigene Team nicht spielt, wird hektisch bis verzweifelt gesucht. Dessen eingedenk sammle ich die übrigen Pitch B-Tickets der Gruppe ein und steure auf die ersten Holländer (die heute Abend auf Pitch B spielen) zu. Bingo. Glückliche Holländer und ich habe drei Pitch A Karten mehr. Drinnen die nächste verzweifelte Gruppe, bestehend aus Holländern und zwei Mädels der Deutschen Sportjugend. Erst versorge ich die Oranjes mit B-Karten, dann die Mädchen aus meinem weiter angewachsenen A-Kontingent. Mit nun vier Karten lebts sichs komfortabel, denn unsere eigentlichen Plätze sind nicht sehr fotofreundlich und ich habe nun die freie Auswahl. Jetzt sprechen mich aber drei junge Chinesen an, die unbedingt in meinen Pitch wollen, denn da spielt im ersten Match gleich China gegen Südafrika. Hmmm. Einerseits will ich den Friedensnobelpreis, andererseits auch die Karten behalten und leihe den Dreien die Tickets mit der Bitte, diese mir in der Pause nach dem Chinaspiel (und vor dem Deutschlandspiel) wieder zurückzugeben. Noch alles klar? Das funktioniert tatsächlich, und ich habe wieder vier Karten, davon eine in der begehrten und von deutschen besetzten Sektion 115. Da aber Silvi und Carmen keine Karten für 115 haben, bitte ich die drei Chinesen, mir von ihren Landsleuten, die nach ihrem Match nach Hause gehen, noch zwei 115er zu erbetteln. Das schaffen sie nicht. Lydie Haase, die wir hinter der Tribüne treffen, will uns von drinnen ein paar Tickets holen, damit wir reingehen können, aber eine sehr resolute Chinesin schiebt uns drei einfach den Eingang rein und an den Kontrollen vorbei und wenn man einmal drin ist, dann ist soviel Platz, dass man sich auch gut in der Gruppe zusammensetzen kann. Das alles passierte, bevor das Deutschlandspiel überhaupt erst angefangen hat und jetzt könnt ihr vielleicht ein klein wenig nachvollziehen, warum Olympia heute richtig angefangen hat.

Links Pitch B, rechts die kleine Tribüne von Pitch A
Links Pitch B, rechts die kleine Tribüne von Pitch A 
Chinesische Soldaten füllen die Ränge auf
Chinesische Soldaten füllen die Ränge auf 

Hockey wird auch gespielt. China haut im ersten Spiel Südafrika weg. Vor dem Gelände warten hunderte von Soldaten in Zivil, alle schön aufgestellt und die werden dann auf die freien Plätze verteilt. Jeder Block hat einen Vorschreier und jeder Block schreit für sich. hat aber nicht immer eine Beziehung zu Spielgeschehen. Doch der Chinese ist sehr lernfähig: es dauert ungefähr 10 Minuten, bis das Hockeystadion eine komplette Welle hinbekommt, nach vielen gescheiterten Versuchen, aber dann läufts. Wenigstens so lange, bis man die Lust verliert.

Dann sind die Wundertüten gegen die Blacksticks aus Neuseeland dran. Nach dem Englandspiel könnten sie mit breiter Brust antreten, aber sie spielen ängstlich, ohne Druck und rennen bis 10 Minuten vor Schluss dem 0:1 hinterher. Erst dann platzt der Knoten und 1.48 vor Schluss fällt der 2:1 Siegtreffer. Große Freude, auch bei Dirk Nowitzki und der Basketballtruppe auf der Haupttribüne aber die netten Neuseeländer tun uns schon ein klein wenig leid.

Die Kunst ist, auch schlechte Spiele zu gewinnen
Die Kunst ist, auch schlechte Spiele zu gewinnen 

Wir dürfen die Spielerinnen feiern und treffen uns, den hilflosen Volunteers trotzend, an der Haupttribüne mit Fanny. Dort sind auch die Neuseeländer und warten auf ihre Mannschaft. So gibt es ein Wiedersehen mit Kayla, die eine Saison beim TSVMH gespielt hat.

Die kleinen Freiwilligen, die vergeblich versuchen, uns wegzuschicken, packen irgendwann ein und gehen nach Hause. Am Schluss sind wir allein im komplett leeren Stadionkomplex. Niemand weist uns den Weg oder hindert uns, denn es niemand mehr da, der dies Aufgabe hat. Ich glaube, wir hätten auch im Stadion übernachten können. Das wollen wir aber nicht, denn Volker und seine Jungs haben einen prima Essenstipp für uns.

Fanny und Kayla
Fanny und Kayla 
Mandy
Mandy 
Vertrauen ist alles
Fisch (Blechschüssel), Schwein links, rechts Hammel
Fisch (Blechschüssel), Schwein links, rechts Hammel 

Nach dem Hockey fahren wir mit Volker und seinen beiden Kollegen zu deren Stammchinesen in die Gegend östlich des Platzes des Himmlischen Friedens. Dieses Etablissement ist eine hygienische Grenzerfahrung, aber da mein Darm sowieso schon am ... (hier drängt sich ein Wortspiel auf, das ich heute aber zur Adoption freigebe) stelle ich meine Bedenken hinten (!) an und feuere Volker, der die Bestellung aufgibt kräftig an. So kommen auf den Tisch: ein Fisch in Öl (sehr gut, scharf), Schweineknöchelchen in süßsaurer Soße (sagenhaft), Hammel (lecker), ein Topf mit Fleisch und einer Art Sauerkraut und Glasnudeln (säuerlich, aber authentisch und nicht schlecht) sowie fritierte Shrimps (muss man nicht noch einmal haben). Der Boden – und soviel zur Hygiene – ist übersäht mit Kippen und Servietten und weiteren Dingen, von denen ich nicht wissen will, was es einmal war. Um 1.30 Uhr nehmen wir ein Taxi, das uns problemlos durch gespenstisch leere und vielleicht 100m breite Straßen zum Hotel bringt. Für 1,60 EUR.

Medienzentrum Qianmen Jianguo
 

Heute ist die erste Mannheimer Reisegruppe angekommen und da gibt man doch gerne hilfreiche Tipps. Das heißt aber auch, dass ich noch keine Homestory für euch habe, vorerst nur dieses Bild, auf dem ihr mich, meine neue Adidas-China-Mütze und die Medienecke mit Fernseher und zwei Laptops erkennen könnt. Am Spiegel hängt die Übersicht über unser Programm sowie der Stadtplan. Uli hat es übrigens mit seinen Bildern und Berichten schon zum Star der Böblinger Kreiszeitung gebracht.

Wer noch einmal zu Tag 3 zurückblättern mag findet ziemlich unten ein Foto, das die Dimension unserer Regenepisode sehr gut zeigt.

Qianmen Jianguo

Einer kleine, der fetten Ente geschuldeten Darminsuffizienz zwingt mich erst in die U-Bahn-Stationstoilette (Wenn möglich: vermeiden) und bringt mich dazu, den Tagestrip abzubrechen. Schade, denn ich bin schön angezogen und hätte gerne noch ein paar Einheimische glücklich gemacht, obwohl sie sich nach wie vor lieber mit unserem Appetitäffchen Carmen fotografieren lassen. Mir bescheidet dafür nur ein hochmotivierter Volunteer „Beware of the thief“, weil ich meinen Rucksack wohl etwas sorglos auf dem Rücken trage. Aber wer 5 Tage La Paz geschafft hat, kommt hoffentlich auch unbeschadet durch Peking.

Aber das wollte ich ja gar nicht erzählen, sondern ich will euch jetzt doch das Hotel zeigen, unseren Kasten aus der Kulturrevolution. Vom Zimmer habt Ihr unten oben den aufgeräumten Teil gesehen und hier der Rest.

Das Qianmen Jianguo
Das Qianmen Jianguo 
Die prächtige Lobby, links der Eingang
Die prächtige Lobby, links der Eingang 
Blick in die Lobby von der 2. Etage
Blick in die Lobby von der 2. Etage 
Das Suche/Biete Tickets-Brett
Das Suche/Biete Tickets-Brett 
Unser eigener Olympic Store
Unser eigener Olympic Store 
Hinten unsere Metrostation Hepingmen
Hinten unsere Metrostation Hepingmen 
Pekingente

12. August 2008

Der Chef zerstört die Ente
Der Chef zerstört die Ente 
Links vorne: was von der Ente übrig blieb
Links vorne: was von der Ente übrig blieb 

Gestern Abend war die Pekingenten-A-Premiere. A deshalb, weil wir am ersten Abend bereits Pekingente hatten, wie sich nun nachträglich herausstellte. Es kamen die gleichen Vorspeisen auf den Tisch wie am Samstag. Leider hat der Chinese ein Faible für grenzwertige Speisenkonsistenz, die mal ins gummiartige, mal ins schleimige oder knurpsige changiert, selten ins knusprige, wie der Reiseführer bei der Pekingente gerne ankündigt. Die Vorspeisen waren kaltes, dünn geschnittenes Fleisch mit Einschlüsssen (knurpsig), heißes Rindfleisch (etwas scharft, gut), Shrimps (gut), gekochter Kohl mit Maronen, Staudensellerie, eingelegte Pflaumen, irgendetwas feingeschnittenes, zähes Gummiartiges und eine Suppe, die wir als Eierbrühe klassifizieren (schleimig, vorwiegend verschmäht). Die Ente wird vorwiegend in Form von Hautstückchen gereicht, die in Pflaumensoße getunkt und in Teigfladen gewickelt werden. Nach kurzer Zeit werden diese Stücke aber zäh und kalt, denn die Tischöfchen, die beim Asiaten in Deutschland das baldige Auftun des Essens ankündigen, gibt es hier nicht. Ich finde, die Pekingente, die ich in Mannheim gegessen hatte, war nicht schlechter. Auch war das ganze Drumherum uncharmant. Zu trinken gibts Bier (Glasflasche), Wasser (Plastikflasche) oder Softdrinks (Dose) und die Bedienung will die Getränke immer gleich kassieren, versteht aber die Zimmernummern nicht gut, weil sie nicht englisch spricht und schreibt dann die Nummer mit Kugelschreiber in die Handfläche. Zum Glück hat man uns wenigstens sitzen lassen, aber es lief auch Gewichtheben auf der Großleinwand und die Bedienungen waren froh, dass sie im Saal bleiben und die 9. Goldmedaille für China verfolgen konnten.

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